Sonntag, 23. August 2015

Mein Independence Day

Happy Independence Day!


Saju ist mittlerweile wieder in Kalahrdaya angekommen und Sajus Ankunft hat das Kulturzentrum in eine Art Besucherzentrum verwandelt. So kommen immer Patres oder Bewohner von Bakeswar und Ragupur (Nachbardorf, in dem auch meine Schule ist) und bringen Früchte zur Genesung und tragen zusätzlich zur Gestaltung des Tages bei.
Ich habe für und mit Saju ein paar Dinge erledigt und deshalb meine Besuche des Unterrichts in der Schule erstmal zurückgestellt. Durch unsere zahlreichen Gäste in den nächsten Tagen kamen auch viele Einladungen zum Lunch und Dinner, daher machten wir uns das eine oder andere Mal auf, durch den knöchelhoch mit Wasser gefüllten Weg, in das Dorf Bakeswar. Oder fuhren mit einem Jeep voller Patres nach Calcutta. So auch am 09.08. als wir in die St. Lawrence High School zum großen Abendlichen Festessen eingeladen waren. Da alles hinter der Handbremse keinen Sicherheitsgurt anlegen muss, bzw. kann, nahmen Brother Felix, ein Father und ich im Kofferraum Platz. Nach eineinhalb Stunden Gewürfel im Kofferraum (die Straßen sind schlechter als in Berlin) sind wir auf dem großen Schulgelände angekommen.
Die St. Lawrence School muss wohl an die 2500 Schüler fassen und dementsprechend groß war auch das Dinner. Neben allen Jesuiten der Stadt und den Holy Cross Schwestern kamen auch der Bischof und Erzbischof, durch dessen Anwesenheit einige restaurierte Räume der Schule eingeweiht wurden. Ich nahm zusammen mit Brother Felix am Novizen-Tisch Platz und hatte einen wahrlich gewinnbringenden und lustigen Abend. Denn ich wurde eingeladen, und mehrfach per SMS daran erinnert, täglich mit den Novizen auf ihrem Gelände Basketball zu spielen und schwimmen zu gehen. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, da ich mit dem Fahrrad zum Novizenashram eine dreiviertel Stunde brauche. Und das bei der Hitze..
Jedes Fest, und dazu gehört auch ein Heiligengedenktag, wird hier mit gutem Essen und Liquor gefeiert. Dazu gehört auch die Silberhochzeit meiner Eltern, die wir im kleinen Rahmen feierten und auch die Hochzeit der Schwester eines Jesuiten, an der Father Thottem und ich teilnahmen.
Das Zeremoniell der Hochzeit war zum Missfallen von Father Thottem sehr westlich geprägt. Dass Essen fand im Haus der Braut statt, welches völlig von Leuten überfüllt war, die ihre Geschenke (Stahleimer und –wannen) überreichen wollten. Die eigentliche Feier fand aber die nächsten zwei Tage im Haus des Bräutigams statt. Father Thottem und ich sind nach dem Essen zurück nach Kalahrdaya gefahren und somit waren die Feierlichkeiten für uns beendet.
Die nächsten Tage blieb ich zu Hause, da ich mir eine heftige Erkältung geholt hatte, die ganze vier Tage andauerte. Ich lernte daher viel Bengalisch, doch Saju merkte schnell, dass ich den regionalen Akzent übernommen hatte. Da Rakesh wegen seines wachsenden Wasser-Business auch immer weniger Zeit hatte, war es an der Zeit den Bengali Lehrer zu wechseln.
Rajesh, mein neuer Bengali Lehrer, spricht leider kein Englisch und daher haben wir die Verben erstmal Verben sein lassen und er hat mir Lesen und Schreiben beigebracht. Lesen klappt schon ganz gut nur beim Schreiben kann ich mich oft nicht an den gewollten Konsonant erinnern (das Alphabet besteht aus 448 Symbolen).
Nun die Überschrift heißt ja Happy Independence Day.
Jener ist am 15.08. und wird in den indischen Städten groß gefeiert. Ich durfte sogar nach dem Gottesdienst die Fahne in Bakeswar hissen. In Bakeswar wurden allerdings nur den ganzen Tag patriotische Lieder über Lautsprecher gespielt, die dem Tag eine schöne Atmosphäre gegeben haben.
Die Menschen in der Darkness (Nach „White Tiger“ siehe unten) haben den Tag allerdings gar nicht gefeiert, denn die meisten von ihnen sind nicht wirklich frei. Ich möchte euch zu diesem Thema das Buch „The White Tiger“ von Aravind Adiga wärmstens empfehlen, es beschreibt die Lebensverhältnisse der Menschen mit denen ich arbeite sehr gut und verschafft einem ein realistisches Bild über die größtenteils ausweglose Situation der Dalits und die Wichtigkeit von Englisch in Indien. (Englisch oder Deutsch, 188 Seiten, ISBN: 978 1 84887 042 0)
Das heißt für uns gab es auch kein Festessen und keinen Kokosnussschnaps, obwohl der Gründungstag der Societas Jesu, des Jesuitenordens auch am 15.08. ist.
Es ist immer noch Regenzeit in Indien, das bedeutet, innerhalb von fünf Minuten steht alles unter Wasser und der Strom ist aus. In einer solchen Situation hieß es für Saju und mich: Ab in die Stadt!
Wir sind also mit den Tucktucks zur Metro und haben den Pater Provinzial besucht. Nachdem wir dort unser Lunch hatten, haben wir ein bisschen Geld gewechselt und für mich eine Gitarre gekauft.
An diesem Tag sollte ich eigentlich mit meinem Unterricht in St. Paul beginnen. Saju hat meine Feuertaufe aber auf den nächsten Tag verschoben. So habe ich den Tag darauf meinen ersten Tag als Lehrer ohne professionelle Aufsicht, quasi als meinen eigenen Independence Day verbracht.
Um 09:30 Uhr beginnt meine Special Class. Das sind erst 16, nun 20 interessierte und gute Schüler, die mit mir Betonung und Lesen üben. Die Klasse gewinnt an Beliebtheit, denn es kommen immer mehr Schüler und fragen, ob sie auch teilnehmen können. Es kommen auch Schüler zum Rektor und fragen, ob ich nicht mal ihre Klasse unterrichten könnte.
 Um 11:00 Uhr beginnt die erste Stunde. Eine Stunde dauert 40 Minuten und es gibt nur eine 30 Minuten Pause nach der vierten Stunde, die um 13:30 Uhr endet und für mich den Unterrichtstag abschließt.
Meine Klassen bestehen aus 60 – 80 Schülern und ich unterrichte Klassen aus dem Bereich 6 – 8, die mit deutschen Klassenstufen vergleichbar sind, und ich unterrichte auch von A bis C (C heißt interessiert und A sind die Sitzenbleiber und Lauten). Zum Beispiel hatte ich an einem Morgen die Klasse VI A mit 84 Schülern, die ich mit megafonartiger Stimme und ab und zu einem Witz bei der Stange hielt. Meine Unterrichtsinhalte sind meist Betonung, kleine grammatikalische Sachen und Leseübungen in Englisch und auf Englisch.
Ich gebe jetzt in Kalahrdaya, dem Kulturzentrum, drei Mal pro Woche Unterricht. Die Schülerzahl hat sich vorerst wegen den Seminaren auf 14 eingependelt und der Unterricht läuft sehr gut. Ja, das Unterrichten macht Spaß, wär hätt’s gedacht. Zudem kommen jetzt jeden Sonntag vier der Novizen und wir machen Unterricht in Kleingruppen, der reiche Früchte tragen wird.
Soweit erstmal. Es gibt natürlich noch ganz viel mehr zu erzählen. Wenn ihr Fragen habt, dann fragt ruhig (alex-wind@web.de). Mein nächster Blogeintrag kommt Anfang Oktober.

Mittwoch, 5. August 2015

Brother Alex


Nun bin ich auch in der Schule angekommen und es beginnt die Zeit, in der ich mich an alles gewöhnt habe.
Ich stehe jeden Morgen um 6:00 Uhr auf, denn um 6:30 Uhr gibt es eine kleine „Sofamesse“ von und für Father Thottem und mich. Nach dem Frühstück fahre ich dann meist mit dem Fahrrad 10 Minuten zur Schule.
Father Thottem (82) ist schon lange in Bakeswar. Er war Lehrer an der Schule, an der auch ich unterrichten werde. Zudem hat er viel für die Verbesserung der Lebensbedingungen im kleinen Vorort von Kalkutta getan. Er ist eine liebenswerte Person, der man das Alter nicht zugetraut hätte.
In der Schule nehme ich zurzeit nur am Unterricht teil. Ab dem 17. August werde ich voraussichtlich meinen eigenen Unterricht machen. So sitze ich in den ersten drei Stunden im Englischunterricht, es werden Erinnerungen wach und gleichzeitig notierte ich mir Tipps für meinen zukünftigen Unterricht.
Die Klassen, die auch ich unterrichten werde, bestehen aus 50 bis 65 Schülern und Schülerrinnen. Das Geschlechterverhältnis ist zwei zu eins, 40 Jungen und 20 Mädchen. Natürlich ist das Interesse ihrerseits groß. Ähnlich wie im Unterricht in Kalahrdaya werde ich das später als Vorteil in meinen Stunden nutzen. Irgendwie muss man ja Ruhe in die Klasse bringen, deren Arbeitsklima dem eines Marktplatzes ähnelt.
Jeder Schüler nennt mich zudem Brother. Ich habe mich mittlerweile ein bisschen daran gewöhnt. Es klingt aber manchmal doch komisch.
Anders als in der High School habe ich im Kulturzentrum Kalahrdaya nur maximal 25 Schüler, wovon in den ersten beiden Stunden 7 (am Do) und 11 (am So) erschienen sind. Grund dafür ist der Regen, der gerade in meiner ersten Woche für Abende ohne Strom und Tage ohne Wasserpumpe verantwortlich war. So habe ich die erste Stunde zum Beispiel mit Taschenlampe unterrichtet. Da ich Spoken English unterrichte ist das auch kein Problem, denn ich versuche mich so viel wie möglich mit den Schülern zu unterhalten ohne die Tafel zu benutzen.
Abends ab 18:00 Uhr bin ich mit lernen dran, denn dann kommt Rakesh, ein junger Geschichtslehrer und Freund, und bringt mir Bangla bei. Und ami bhalo shekhai, ich lerne gut. Doch als jemand, der fast nur Englisch spricht erkennt man wie wichtig der Englsch-Unterricht wirklich ist.
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Father Saju ist seit Mittwoch im Krankenhaus. Er hat sich einer Operation unterziehen müssen und kehrt am 06.08. zurück. Ab dann werde ich sehen, ob ich meinem Leben hier in Bakeswar noch ein Hobby hinzufügen kann…